Die aktuelle Debatte um einen angemessenen Umgang mit umstrittenen Denkmälern hält eine Fülle von Positionen bereit. In den nächsten Wochen und Monaten soll hier eine stetig wachsende Sammlung von Stimmen in dieser Debatten entstehen. Befragt wurde ein breites Spektrum an Personen aus Kunst, Kultur, Wissenschaft und Politik, die sich entweder bereits in der Vergangenheit mit dem Thema auseinandergesetzt haben oder in der aktuellen Debatte als Akteure auftreten.
Jede Person oder Gruppierung bekam dieselben drei Fragen gestellt:

Welchen Wert haben umstrittene Denkmäler (wie das Kolonialdenkmal) heute?


Welche Aspekte der gegenwärtigen Debatte um umstrittene Denkmäler irritieren Sie und welche stoßen bei Ihnen auf Verständnis?


Wie kann ein angemessener Umgang mit umstrittenen Denkmälern aussehen?

Prof. Dr. Ulrike Bergermann, Hochschule der Bildenden Künste Braunschweig

Welchen Wert haben umstrittene Denkmäler (wie das Kolonialdenkmal) heute?

Die Frage legt nahe, dass diese Denkmäler auf jeden Fall einen „Wert“ haben. „Wert“ ist ein positiv besetzter Begriff. Die naheliegende oder nahegelegte Antwort lautet: Der Wert eines Kolonialdenkmals liegt darin, dass es ein Zeitzeuge ist, an etwas erinnert, die Vergangenheit gegenwärtig macht. Vielleicht finden manche auch bestimmte Denkmäler schön. Das Problem ist, dass es keinen „Wert an sich“ gibt, der den Erinnerungsträgern zukommt, weil es immer nur eine kleine Gruppe von Personen bzw. eine stark eingeschränkte Sicht auf die Geschichte ist, die darin repräsentiert werden. Die Geschichte der „kleinen Leute“, die Geschichte z.B. der Kolonisierten, in der Regel auch: Geschichte aus der Perspektive von Frauen und anderen unterdrückten Gesellschaftsgruppen wird nicht im öffentlichen Raum dargestellt und erinnert. „Wert“ kommt den bestehenden Denkmälern also allenfalls im Kontext eines Museums, eines Archivs zu. Als Bezugspunkte für z.B. nationalistische Aufmärsche sind solche Denkmäler nicht nur „wertlos“, sondern sogar als negativ für eine demokratische Debattenkultur zu bewerten. Kurz: Kolonialdenkmäler haben keinen Wert.


Welche Aspekte der gegenwärtigen Debatte um umstrittene Denkmäler irritieren Sie, und welche stoßen bei Ihnen auf Verständnis?

1. Mich irritiert zutiefst die Aussage, dass man Denkmäler nicht versetzen, entfernen oder umarbeiten könne, weil das eine Zensur der Geschichte sei, die sie nun mal dokumentierten. Das Gegenteil ist der Fall: Jedes Denkmal hat eine Geschichte, viele wurden mehrmals versetzt, sie sind immer Ausdruck ihrer Zeit, sie ‚machen‘ insofern Geschichte, aber sie
unterliegen auch der Geschichte und sind nicht unsterblich. Ihre Größe und Massivität mag anders suggerieren, aber sie sind beweglich. Gerade Kolonialdenkmäler wurden von bestimmten politischen Gruppen mit sehr konkreten politischen Zielen initiiert, finanziert und errichtet. Jede Zeit bearbeitet die Denkmäler, die sie vorgefunden hat – das ist in Übergangszeiten besonders sichtbar (niemand beschwerte sich nach 1945 über die Entfernung nationalsozialistischer Denkmäler und Symbole, diese seien halt Zeitzeugen). Solange wir davon ausgehen, dass Denkmäler überhaupt etwas bedeuten und dass man den Dargestellten Respekt mit ihrer Präsenz im öffentlichen Raum zollt, sind auch Monumente als bewegliche Elemente im öffentlichen Diskurs zu sehen.

2. Daher verstehe ich die Forderungen, die eine breitere Kontextualisierung vieler Monumente einfordern (und nicht nur Texttafeln, die beschönigende Kurzinformationen liefern und die in ihrer visuellen Präsenz die Aussage des steinernen Monuments nicht einholen können). Ich
verstehe ebenfalls den Wunsch, solche Monumente aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, die durch die Darstellung von Personen, von Schriften oder Symbolen Sachverhalte verherrlichen oder auch nur positiv oder in Nostalgie darstellen, die durch Gewaltherrschaft, Ausbeutung, Ermordungen etc. gekennzeichnet sind – das trifft für den NS zu, für Kriege und für die Kolonialherrschaft. Ich habe Verständnis für und unterstütze Forderungen nach einer breiten öffentlichen Debatte, Aufklärung und konsequentem Handeln im Umgang mit diesen Symbolen. Für mich ist die Entfernung von Kolonialdenkmälern das Zeichen für eine Gesellschaft, die sich kritisch und produktiv mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen will und die Verantwortung dafür übernimmt, dass ihr Wohlstand auch auf der Ausbeutung der kolonisierten Länder beruht.

Wie kann ein angemessener Umgang mit umstrittenen Denkmälern aussehen?

1. Ein erster Schritt wäre, viele Figuren einfach vom Sockel zu holen. Die Wirkung wäre verblüffend. Die Figuren sollen aber gleichzeitig nicht verharmlost werden (Kinder reiten mit auf Bismarcks Schimmel etc.). Museen und Archive sind die geeigneten kontextualisierenden Orte für Figuren, deren Verherrlichung nicht mehr in das Gesellschaftsverständnis der Zeit passt; dass im 21. Jahrhundert die Kolonialzeit kritisch gesehen und die ersten deutschen Genozide des 20. Jahrhundert (an den Herero und Nama im ehemaligen „Deutsch-Südwest“ und an den Opfern des Maji-Maji-Kriegs in „Deutsch-Ostafrika) ins Bewusstsein der Gesellschaft geholt werden müssen, gehört in den angemessen Umgang mit den Denkmälern
hinein.

2. Die Einbeziehung von Vertreter*innen der betroffenen Communities im Fall der Kolonialdenkmäler ist notwendig, sowohl aus den Schwarzen lokalen Communities als auch aus den ehemalig kolonisierten Ländern. Die im öffentlichen Raum erinnerte Geschichte kann nicht mehr nur von den ehemaligen Herrschern bestimmt werden. Ein umfassendes städtisches Erinnerungskonzept ist dabei nicht auf ein Event oder eine Wahlperiode angelegt, sondern zielt auf den Aufbau langfristiger Beziehungen und einen mehrstimmigen Austausch über die Bedeutung der ‚gemeinsamen‘ Geschichte (entangled history) von ehemaligen Kolonisieren und Kolonisierten und den folgenden Geneationen. Daran sind nicht nur verschiedene Ethnien, Nationen, Geschlechter etc. zu beteiligen, sondern auch Vertreter*innen aus anderen Sparten als Politik und Geschichtswissenschaft. Eine Öffnung in verschiedene Bevölkerungsgruppen und Ausdrucksweisen ist zu begrüßen; dazu gehören auch künstlerische Projekte; gleichzeitig kann das nicht dazu führen, die Aufgabe der Auseinandersetzung auszulagern und z.B. „die Kunst“ hierfür zu funktionalisieren.

3. Konkrete Projekte aus anderen Orten zeigen, dass die Produktion von Soundwalks (die man sich z.B. auf das Handy herunterladen und damit einen individuellen Rundgang unternehmen kann) durch Historikerinnen, kritische Aktivistinnen u.a. ein Element für eine breite Beteiligung der Öffentlichkeit an der Auseinandersetzung mit den Denkmälern ist. Die
Finanzierung der wissenschaftlichen Aufarbeitung und entsprechender Publikationen durch die Stadt ist ein offensichtliches Desiderat. Städte wie Bristol haben historische Rundgänge wie die „Slavery tour“ mit großem Erfolg in ihr Tourismuskonzept integriert. Zahllose Museen haben begonnen, nicht nur ihre Archive nach belastetem Material aus der
Kolonialzeit durchzugehen und Restitutionsprojekte zu planen, sondern auch den ausgestellten Bestand einer Revision zu unterziehen, exotisierende und rassistische Darstellungen neu zu kommentieren oder in neuen Ausstellungsformen, die die Publikumsblicke reflektieren, zu präsentieren. Statuen und Monumente können entweder in eine Art von Skulpturengarten oder Höfen an den Museen gesammelt oder wie in einem Hamburger Projekt in einen „Park Postkolonial“ zusammengeführt werden.

Amo – Braunschweig Postkolonial

Welchen Wert haben umstrittene Denkmäler (wie das Kolonialdenkmal) heute?

• In ihrer Funktion als Denkmal keinen. Sie könnten eine Funktion als Mahnmal einnehmen, dazu müsste allerdings die Plastik, der Raum, die Umgebung, der Diskurs geändert werden.
• Das Mahnen an die eigene Geschichte und die Rolle Deutschlands in der Kolonialzeit
• Das Gedenken an Opfer
• Den Blick aus deutscher Geschichte hinaus und den Einblick in zwischenstaatliche Geschichtsschreibungen, Zusammenhänge und Einflüsse
• Die Erinnerung an Betroffene Communitys und den Einbezug dieser in jeglicher gesellschaftlichen Debatte


Welche Aspekte der gegenwärtigen Debatte um umstrittene Denkmäler irritieren Sie, und welche stoßen bei Ihnen auf Verständnis?

Irritierend ist:
• dass Denkmäler als Zeug*innen einer anderen Zeit gesehen werden, die uns in heutiger Zeit nichts mehr angeht.
• dass insbesonde auf das Kolonialdenkmal in Braunschweig ein Jahrhundertlang nichts getan wurde. Anstöße der Veränderung gingen von Einzelpersonen, Schul- oder Uniklassen aus. Der Wille der Veränderung, des Umdenkens, der Auseinandersetzung mit der regionalen und nationalen kolonialen Vergangenheit fehlt.
• Die erst jetzige Auseinandersetzung mit solchen Denkmälern, obwohl Betroffeneninis schon immer Kritik geäußert haben und werden – warum und wie werden sie (erst) jetzt gehört?
• Das Festhalten, Verteidigen von/an solchen Denkmälern, die Angst vor Veränderung
• Die Selbstverständlichkeit von solchen Bildern im Stadtgeschehen

Verständnis und Irritation:
• Viele Stimmen beklagen zurecht, dass ein Verschwinden eines Denkmals nur zur Folge hat, dass ein Vergessen initiieren würde. Irritierend dabei ist, dass dies als das zentrale Argument hervorgebracht wird, damit wieder nichts passiert. Die momentane Situation ist allerdings nicht tragbar. Es wird durch eine Schautafel Stellung bezogen, allerdings kann eine Schautafel schnell rückgebaut werden. Zudem ist es möglich, das Denkmal zu betrachten, ohne der Schautafel Beachtung zu schenken. Auch mit Schautafel huldigt das Denkmal an sich immer noch deutschen Soldaten, anstatt deren Opfer zu gedenken.
• Das Gefühl des Unangenehmen bei einer Auseinandersetzung mit den Denkmälern. Das Aufarbeiten und Umschreiben der eigenen Geschichte mit postkolonialen Ansätzen muss in Teilen unangenehm sein. Es muss sich mit den der Rolle Deutschlands und den Opfern/Betroffenen auseinandergesetzt werden. Das ist unangenehm.

Wie kann ein angemessener Umgang mit umstrittenen Denkmälern aussehen?

• Das Denkmal muss dekonstruiert werden.
• Warum kann nicht ein Denkmal umgestaltet werden und mit einer Schautafel an das alte Denkmal und den Prozess der Umgestaltung gedacht werden anstatt anders herum?
• Einbezug von betroffenen Communitys hier und weltweit, gemeinsame Kooperation auf Augenhöhe bei der Dekonstuktion und im Prozess der Entscheidungsfindung über den Umgang mit solchen Denkmälern
• Prämisse der Problematisierung solcher Denkmäler bevor die Kooperation beginnt
• Akzeptanz der Umstrittenheit von solchen Denkmälern ohne Ausnahme und nicht zeitlich beschränkte Auseinandersetzung, sondern eine immerwährende
• Angemessene Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte statt das einfache Vernichten oder Verstecken
• Vergegenwärtigung Deutschlands Kolonialgeschichte
• Das Gedenken der Opfer, statt Huldigung der Kolonialmächte

Claus Kristen

Welchen Wert haben umstrittene Denkmäler (wie das Kolonialdenkmal) heute?

Denkmäler sind als Zeugnisse ihrer Zeit zugleich Ausdruck politischer Kräfteverhältnisse. Unter veränderten gesellschaftlichen Konstellationen können sie bewahrt, umgewandelt oder gestürzt werden. So kam es etwa zur Demontage zahlreicher Denkmäler und Gebäude nach dem Ende des „Realsozialismus“ und der DDR, wie z. B. in Berlin dem Abriss des Lenindenkmals oder des Palastes der Republik. Einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden ist auch der zweimalige Sturz des Denkmals des Kolonialverbrechers Hermann von Wissmann durch Mitglieder der außerparlamentarischen Opposition 1967/68 in Hamburg.
Denkmäler besitzen also keine Ewigkeitsgarantie. Warum ausgerechnet verherrlichende Monumente führender Kolonialisten nicht angerührt werden sollen, entzieht sich einer einleuchtenden Begründung. Durchaus verständlich erscheint mir dagegen der Sturz der Statue des Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol.


Welche Aspekte der gegenwärtigen Debatte um umstrittene Denkmäler irritieren Sie, und welche stoßen bei Ihnen auf Verständnis?

Die Ansicht der Braunschweiger Kulturdezernentin bezüglich des Braunschweiger Kolonialdenkmals – „Auf der einen Seite wollen wir das Denkmal, so wie es ist, erhalten. Andererseits muss es erläutert, hinterfragt und ergänzt werden“ – erscheint mir recht widersprüchlich. Die Vorgabe, es zu erhalten, „so wie es ist“, setzt praktischer kritischer Intervention enge Grenzen. Den Vorschlag, Künstler ehemals kolonisierter Länder mit „Ergänzungen“ zu beauftragen, halte ich für bedenkenswert. Er sollte aber nur mit Beteiligung lokal tätiger antikolonialistischer und antirassistischer Personen und Gruppen realisiert werden.

Wie kann ein angemessener Umgang mit umstrittenen Denkmälern aussehen?

Der Umgang mit „umstrittenen“ Denkmälern im Einzelfall könnte von Versammlungen betroffener Menschen – also nicht nur offizieller politischer Gremien – jeweils beschlossen werden. Dabei wäre nichts vorher auszuschließen: Abriss, erläuternde Anmerkungen, Umwidmung (wie im Falle des „Elefanten“ in Bremen), Umsetzung (ins Museum oder ein spezielles Areal). Überlegenswert ist auch ein neuerer Vorschlag, entsprechende Denkmäler zu „dekonstruieren“ – auf den Kopf zu stellen, querzulegen oder ähnliche Verfremdungen anzubringen.
Angebracht ist eine Aufarbeitung der Braunschweiger Kolonialtradition sowie ihres weiteren politischen Kontextes. So war es Generalmajor Georg Maercker, der – vormals am Völkermord an Herero und Nama beteiligt – im April 1919 mit Freikorpstruppen in Braunschweig einmarschierte und 1924 als Gründer des „Deutschen Kolonialkrieger-Bundes“ die Anregung zur Errichtung des Braunschweiger Kolonialdenkmals gab.
Besonders zu berücksichtigen ist natürlich der Bezug zu rassistischen Bewegungen, Verhaltensweisen und Denkmustern der Gegenwart, denn hierin liegt der eigentliche Erkenntnisgewinn der Auseinandersetzung. In der Diskussion um existierende „umstrittene“ Monumente sollte auch hinterfragt werden, warum eine Tendenz zur Rekonstruktion gar nicht mehr existierender Bauwerke monarchistischen, feudalistischen und/oder militaristischen Hintergrunds besteht (Beispiele: Potsdamer Garnisonskirche, Berliner Stadtschloss, Braunschweiger Schloss). Fragwürdig ist auch die gegenwärtige Sanierung des Hamburger Bismarck-Denkmals für nahezu 10 Millionen Euro.
Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion plant die Stadt Braunschweig (laut Braunschweiger Zeitung vom 28.7.2020) auch eine Untersuchung von Straßennamen bezüglich problematischer Namensgeber. Hierzu ein Hinweis: Der Stadtteil Querum zeichnet sich durch eine Art „koloniales Viertel“ in der Namensgebung aus: Albert-Voigts-Weg, Hermann-Blumenau-Straße, Lüderitzstraße, Otto-Finsch-Straße.