Die neue nationalsozialistische Führung knüpfte an wesentliche Elemente der Erinnerungskultur der Weimarer Republik an. In einem Briefwechsel zwischen Elisabeth Gebensleben-von Alten, der Frau des stellvertretenden Bürgermeisters von Braunschweig und ihrer Tochter Irmgard Brester-Gebensleben beschreibt Mutter Elisabeth folgende Szene am Volkstrauertag 1933:

Der Volkstrauertag mit seinem sonnigen klaren Wetter, viel feierlich Glockengeläut, brachte uns auch weihevolle Augenblicke. Schon früh um 10 Uhr zogen große Trupps Nationalsozialisten an unserem Hause vorbei zum Kolonialdenkmal oben im Stadtpark, wo sie Kränze niederlegten. Vati blieb oben auf unserem Balkon stehen, wo man eine schöne Übersicht hatte; ich lief schnell herunter, stand mit unten am Denkmal und hörte eine kurze packende Ansprache eines nationalsozialistischen Führers; dann kam der feierliche Akt der Kranzniederlegung, worauf die Trupps weiterzogen zum Ehrenfriedhof.

(Kalshoven, Hedda: Ich denk so viel an Euch – Ein deutsch-holländischer Briefwechsel 1920-1949. München 1995, S. 176)

Sie zeigt die für die Zeit typische, gezielte Instrumentalisierung der Kolonialerinnerung im Rahmen Volkstrauertages. Die anfangs noch geteilte Forderung nach Rückerstattung der Kolonien geriet jedoch aufgrund der Expansionspläne für Osteuropa in den 1930er Jahren mehr und mehr in den Hintergrund. Die Instrumentalisierung des Heldengedenkens führten die Nationalsozialisten jedoch deutschlandweit fort. In vielen deutschen Städten errichteten sie sogar neue Denkmäler mit ähnlicher Intention.

All das bedeutete freilich nicht, dass sich das »Dritte Reich« in die Tradition der Kolonialbewegung stellte; an eine Kolonialpolitik in alter Form war nicht gedacht. Vielmehr monopolisierte die NS-Propaganda die Kolonialerinnerung, um die kolonialen Heroen und Mythen in den Kult des neuen Regimes zu integrieren. Die Kolonialpioniere galten als Vorbilder kriegerischer Tugenden und echten Deutschtums, ihr Heroismus sollte als Muster für die aktuellen, freilich anders gerichteten Aufgaben dienen.

(Speitkamp, Winfried: Deutsche Kolonialgeschichte. Stuttgart 2014, S. 171)

In Braunschweig zeigt sich diese Entwicklung sehr schnell. Bereits kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten entstanden Pläne für die Umgestaltung der Kaiser-Wilhelm-Straße, des Stadtparks und des Nußbergs. Ziel war es, mit einem Durchbruch der Kaiser-Wilhelm-Straße durch den Stadtpark und das Franzsche Feld, eine Aufmarschstraße bis zu dem am Nußberg entstehenden Thingplatz zu erschaffen. 1934 begann man mit diesen Umbaumaßnahmen, die den Stadtpark sowie das Franzsche Feld teilen sollten, das Kolonialdenkmal aber zunächst an seinem ursprünglichen Ort beließ. Das Denkmal stand damals als Abschluss der Kaiser-Wilhelm-Straße am Rande des Stadtparks mit Blick nach Westen auf die volle Länge der Straße. Mit der Erweiterung der Straße sollte das Denkmal nun auf deren Mittelstreifen stehen. Man plante, die Straße quasi um das Denkmal herum zu bauen.

Ein kurzer Bericht darüber findet sich in einem Artikel in den Braunschweiger Neuesten Nachrichten vom 05.04.1934. Dieser berichtet über den bisherigen Baufortschritt, der nur in Teilen schon die endgültige Gestalt des neuen Komplexes erahnen lasse. Zum Kolonialdenkmal steht dort Folgendes:

Die Kaiser-Wilhelm-Straße wird eine schnurgerade Verlängerung durch den Stadtpark, über das Franzsche Feld bis zum Scheitel des Nußberges erhalten. Am Eingang des Stadtparks, von der Kaiser Wilhelm-Str. aus gesehen, führt der Weg rechts und links um das Kolonialdenkmal, um sich dann zu einer breiten, dem Nußberg zustrebenden Straße zu vereinigen.

(o.N.: Auf der Baustelle des Thingplatzes. In: Braunschweiger Neueste Nachrichten, 05.04.1934)

Dem Artikel liegt ein kleiner Lageplan des Bauvorhabens bei, der den Verbleib des Kolonialdenkmals an Ort und Stelle abermals bestätigt. Man erkennt es als kleines schwarzes Rechteck in der Mitte des geplanten Stadtparkdurchbruchs:

(o.N.: Auf der Baustelle des Thingplatzes. In: Braunschweiger Neueste Nachrichten, 05.04.1934)

Von diesem ursprünglichen Plan rückte man 1936 mit Fortschreiten des Bauvorhabens ab und versetzte das Denkmal im Zuge des Stadtparkdurchbruchs an dessen nördlichen Teil, mit Blick auf die neue Anmarschstraße, wo es bis heute steht. Das alte Kolonialdenkmal aus der Weimarer Republik, das den Verhältnissen des Kaiserreichs hinterhertrauert, wich letztlich also der nationalsozialistischen Ideologie, und wurde buchstäblich an den Rand gedrängt.

Weiter: 1945 – 1990: Vergessen