Nachdem das Kolonialdenkmal in den frühen Sechzigerjahren ohne große öffentliche Beteiligung im Kulturausschuss besprochen wurde, dauerte es anschließend bis ins Jahr 1990, in dem sich ein erstes öffentliches Interesse am Kolonialdenkmal nachweisen lässt.
Die Phase der öffentlichen Wiederentdeckung des Braunschweiger Kolonialdenkmals beginnt mit einer Diskussion im Stadtbezirksrat des östlichen Ringgebiets.

1990 Diskussion im Stadtbezirksrat Östliches Ringgebiet

Im Stadtbezirksrat des Östlichen Ringgebietes stellte die SPD Ratsfraktion im Herbst 1990 einen Antrag auf Versetzung des Kolonialdenkmals, was zu einigen Kontroversen innerhalb der Lokalpolitik führte. Die Sozialdemokraten argumentierten, das Denkmal stehe an der falschen Stelle und damit in Konflikt mit dem Straßennamen. Der Sozialdemokrat Heinrich Jasper, nach dem die Kaiser-Wilhelm-Straße nach dem Krieg benannt wurde, war während der Weimarer Republik Braunschweigischer Staatsminister und starb 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Es bedürfe ein zu hohes Maß an politischer und historischer Kompetenz, um bei der Einschätzung des Denkmals nicht zu zeitfremden Schlüssen zu kommen. Als Gedenkstätte für Tote gehöre es auf einen Friedhof oder als geschichtliches Zeugnis, zwecks Begleitung und Einarbeitung, in ein Museum. Außerdem könne es als Aufhänger rechtsradikaler Tendenzen in der Politik dienen.

Die CDU-Ratsfraktion vertrat indes eine deutlich andere Position, die auch vom zuständigen Bauordnungsamt geteilt wurde. Sie argumentierte, das Denkmal erinnere an ein abgeschlossenes Kapitel der deutschen Geschichte. Es sei ein Zeugnis der Vergangenheit, das über Geschichte informiere und zur Auseinandersetzung mit Geschichte reize. Die Erhaltung eines solchen Denkmals solle nicht als Identifikation mit den Zielen und Ansichten der 1920er Jahre verstanden werden. Eine Zeugnis- und Mahnfunktion könne sich nur an Ort und Stelle entwickeln. Ein Museum sei dafür ungeeignet.

Schließlich wurde dem Antrag der SPD nicht stattgegeben und das Kolonialdenkmal blieb an seinem Platz. Aus dieser Debatte ging jedoch ein erster Vorschlag der CDU hervor, das Denkmal um eine einordnende Erklärungstafel zu erweitern. Bis zur Aufstellung dieser Tafel vergingen jedoch noch einige Jahre.

(vgl. Arndt, Nina: Das Braunschweiger Kolonialdenkmal. 2010 S. 9)

1993: Geschichte vor Ort

Im Jahr 1993 erarbeitete der Braunschweiger Lehrer Reinhard Bein unter dem Motto „Geschichte vor Ort“, zusammen mit seinen Schülern des Geschichtsleistungskurses der 12. Klasse des Gymnasiums Neue Oberschule, ein Projekt zum Braunschweiger Kolonialdenkmal.
Intention des Projekts war es, Licht in das Dunkel um das vergessene Braunschweiger Kolonialdenkmal zu bringen. Die Ergebnisse dieses Projektes gipfelten in einer Publikation in der geschichtsdidaktischen Fachzeitschrift Praxis Geschichte des Braunschweiger Westermann-Verlags.

Zunächst wurde das Denkmal von den Schülerinnen und Schülern selbst vor Ort erforscht. Sie wurden aufgefordert, das Denkmal zu zeichnen, es zu beschreiben, einzuordnen und die Umgebung zu bestimmen. Im nächsten Schritt sammelten sie Fragen zu dem Denkmal, die später als Recherchegrundlage dienten. Es folgte eine Spurensuche, um die erarbeiteten Fragen beantworten zu können. Archive wurden durchsucht, Personen befragt und Zeitungsartikel gesammelt. In der folgenden Woche trugen sie die gesammelten Ergebnisse zusammen und stellten sie in der Klasse vor. Am Ende wurden die erarbeiteten Ergebnisse von Reinhard Bein in einem Artikel verarbeitet und veröffentlicht. Eine besonders engagierte Methode der Schülerinnen und Schüler war eine Befragung von Passanten rund um das Denkmal:

Um uns über den Kenntnisstand der Menschen im umliegenden nordöstlichen Ringgebiet zu informieren, führten Annette und ich Umfragen vor Ort durch. Von 37 Befragten im »Stadtparkrestaurant« im Alter von 30-80 Jahren wußten 10 Personen nichts von der Existenz des Denkmals. 14 kannten es vom Sehen. 13 wußten, daß es ein Kolonialdenkmal ist. Von 25 Passanten auf der Herzogin-Elisabeth-Straße kannten 16 das Denkmal nicht, 9 nur vom Sehen und nur 3 konnten genauere Angaben machen. Eine Frau z.B. wußte von Kranzniederlegungen für die Gefallenen, eine andre, daß es vor ca. acht Jahren mit Farbe »verschandelt« wurde, und ein älterer Mann verband das Denkmal mit Kindheitserinnerungen und kannte dessen Bedeutung in der NS-Zeit. Bei der Umfrage fiel auf, daß jüngere Menschen (natürlich Generationsbedingt) am wenigsten von dem Denkmal wußten. Allgemein hat das Kolonialdenkmal für die Menschen heute anscheinend keine Bedeutung mehr. Aussagen wie »das steht halt da« bis zu »da ist so ‘n Löwe drauf« gehörten zur Regel.

(Bein, Reinhard: Das vergessene Kolonialdenkmal in Braunschweig. in: Praxis Geschichte Heft 1. Braunschweig 1993, S.53)

Diese kleine Schülerumfrage der frühen Neunzigerjahre gibt einen Eindruck von dem Stellenwert, den das Kolonialdenkmäler für die Braunschweiger zu dieser Zeit hatte. Viele der Befragten wissen nichts darüber, einige haben das Denkmal lediglich gesehen und die wenigen, die etwas dazu wissen, verbinden damit Kindheitserinnerungen im Nationalsozialismus oder kennen die Kranzniederlegungen und Verschandelungen der letzten Jahre. Für Verschandelungen im Sinne von Farbbeschmierungen wurde das Kolonialdenkmal im Laufe seiner Geschichte übrigens immer wieder genutzt. Oftmals jedoch ohne politische Bedeutung, sodass hier nur die überlieferten Beschmierungen behandelt werden, die sich als erinnerungskulturell relevante Aktion deuten lassen.

Die Phase der Wiederentdeckung endet mit dem Jahreswechsel 2003/2004 mit der Einstellung der Kranzniederlegung zum Volkstrauertag.

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