In dieser Phase verschmolz das analoge Kolonialdenkmal erstmals mit der digitalen Debattenkultur. In den Aktionen und Debatten dieser Phase ging es häufig nicht mehr direkt um das Kolonialdenkmal selbst. Oftmals wurde es als Projektionsfläche zur Diskussion anderer, damit verbundener Themen wie der Flüchtlingssituation oder der Black-Lives-Matter-Bewegung genutzt. Diese Debatten entstanden nicht am Kolonialdenkmal in Braunschweig, sondern im Internet. Das Kolonialdenkmal bildete hier also eine Art Brücke zwischen Digitaler Debatte und analogem Protest. Erst im Anschluss an diese Aktionen wurde wieder sehr konkret über die Frage nach der Erinnerungskultur und den Wert von Denkmälern diskutiert. Für eine abschließende Zusammenfassung dieses Zeitraums ist es jedoch noch zu früh.

2015: #dietotenkommen

Foto: Fabian Lampe

Zwischen Sonntag, dem 21.06.2015 und Mittwoch, dem 24.06.2015 haben Unbekannte vor dem Kolonialdenkmal ein „Grab ausgehoben“.

Die Aktion war Teil der bundesweiten Protestaktion „dietotenkommen“, die zunächst in Berlin und später in ganz Deutschland symbolische Gräber für die vor den Grenzen Europas umgekommenen Flüchtlinge anlegte und unter dem Hashtag #dietotenkommen im Internet verbreitet wurde. Ins Leben gerufen wurde der Protest vom Zentrum für politische Schönheit. In einem Ankündigungsvideo behaupteten die Künstler, sie hätten 10 Leichen von Flüchtlingen in Europa exhumiert, um sie mitten in Berlin menschenwürdig zu bestatten. Bewusst spielten sie dabei mit der Frage nach Fiktion und Wirklichkeit. Bei dem am Sonntag, den 21.Juni 2015 stattgefundenen “Marsch der Entschlossenen” hoben hunderte Demonstranten schließlich symbolische Gräber vor dem Berliner Kanzleramt aus. Warum genau das Kolonialdenkmal in Braunschweig als Ort der Protestaktion gewählt wurde, darüber kann nur spekuliert werden, da sich bis heute niemand zu der Aktion bekannt hat.

Die bundesweite Aktion #dietotenkommen hat ein großes mediales Interesse hervorgebracht. Eineinhalb Monate später veranstaltete eine Gruppe antifaschistischer Aktivisten eine ähnliche Aktion auf dem Braunschweiger Kohlmarkt. Das Grab vor dem Kolonialdenkmal spielte dort aber keine Rolle. Die bundesweite Aktion hallte in den Medien noch einige Zeit nach, doch abgesehen von einem kleinen Beitrag bei RegionalHeute blieb das Braunschweiger Grab ohne weitere regionale oder überregionale Medienwirkung.

(vgl. (Borner, Jan: #dietotenkommen – auch in Braunschweig in: regionalbraunschweig.de vom 24. 06.2015)

2016: Studentische Website

Screenshot der Projektarbeit: Fabian Lampe

Im Jahr 2016 veröffentlichten die Braunschweiger Geschichtsstudenten Lars Hybsz und Fabian Lampe eine Website zum Kolonialdenkmal. Diese Website entstand im Rahmen des Projektmoduls im Bachelorstudium des Fachs Geschichte an der Technischen Universität.

Die Geschichte der Website begann jedoch bereits etwas früher. Nachdem die beiden Studenten seit 2013 einige Seminare zum Thema Kolonialgeschichte besucht hatten, fiel ihr Blick schnell auf das hiesige Kolonialdenkmal im Stadtpark. Die anschließende Recherche zum Denkmal und seiner Geschichte erwies sich jedoch als mühselig, denn die wenigen Informationen, die man online und in Bibliotheken und Archiven finden konnten, waren über eine handvoll Personen und Institutionen in der Stadt, sowie über das gesamte Internet verteilt und mussten in kleinen Schritten zusammengesucht und miteinander in Verbindung gebracht werden. Diese Erfahrung hatten sicherlich alle anderen Akteure, die zuvor zum Denkmal gearbeitet haben, ebenfalls machen müssen und so entstand schnell die Idee, diese Materialien an einem zentralen Ort zu versammeln und öffentlich zugänglich zu machen.

Zu Beginn dieses Projekts stand zunächst die Idee, einen Flyer zu erstellen, der in der Universität ausgelegt werden sollte. Nachdem die Recherche aber bald doch so viele Informationen hervorbrachte, dass ein einfaches Faltblatt als Medium nicht mehr ausreichte, änderten die beiden ihr Vorhaben ab und planten die Erstellung einer Website. Auf diese Weise konnte neben der größeren Informationsmenge auch gleichzeitig der Kreis derer erweitert werden, der auf diese zugreifen konnte.

Die Website behandelte hauptsächlich die Geschichte des Denkmals, die Umstände seiner Entstehung in der Weimarer Republik, die räumliche und ideologische Versetzung im Nationalsozialismus, sowie die anschließende Aufarbeitung in der Bundesrepublik. In der Rückschau war wohl letzteres der größte Erfolg der Website. Die Darstellung der unterschiedlichen Aktionen und Debatten in der jüngeren Vergangenheit gab diesen eine gewisse Öffentlichkeit, bevor diese ihrerseits drohte, in Vergessenheit zu geraten. Auf diese Weise war für alle, die sich für das Denkmal interessieren und danach googlen, ersichtlich, dass sie nicht die Ersten sind, die sich daran stören und dass es eben doch eine Debatte darum gibt, die offenbar periodisch wiederkehrt.

Hinzu kamen noch einige Stimmen von Personen aus dem universitären Umfeld, die sich bereits mit damit verbundenen Themen auseinandergesetzt hatten.

Aus diesem Website-Projekt ist zusätzlich ein Artikel von Lars Hybsz in der Braunschweigischen Heimat entstanden (Ausgabe 1/2017)

Diese Website hat, mehr noch als die Broschüre des HBK-Projekts, die Informationen über das Kolonialdenkmal erstmals als genuin digitales Projekt im Internet verarbeitet.

2020: Black Lives Matter

Im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung platzierten Demonstranten ab dem 12.06.2020 mehrere Schilder und Transparente vor und auf dem Kolonialdenkmal, die dort mehrere Tage stehenblieben. Die Inhalte der angebrachten Forderungen zeigt die Heterogenität der Bewegung: Hier verbinden sich, wie auf dem grünen Schild zu sehen ist, die BLM-Proteste mit den Forderungen von Klimaaktivisten. Ähnlich wie schon 2015 ist das Kolonialdenkmal bei dieser konkreten Aktion zunächst nur Projektionsfläche und nicht selbst Gegenstand der Diskussion. Was diese Aktion jedoch von denen der Vorjahre unterscheidet, ist der Anschluss an eine deutschlandweite Debatte um um den Umgang mit umstrittenen Denkmälern, die in der Folge auch Braunschweig erreichte und in der aktuell andauernden Debatte mündete.

Foto: Maria Conrad

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